Worte

Oswaldi Kapelle, Neckenmarkt
Foto: Bojidara Kouzmanova – Vladar

„ Worte ohne Gedanken gehen nie zum Himmel“
(aus „Hamlet“, Shakespeare)

Ich liebe Worte. Ich verehre Sprachen. Ich mag Wortspiele. Ich benutze Worte meist bewusst, auch wenn sie hier und da vielleicht etwas zu viel sind. Lakonisch drücke ich mich selten aus, dazu sind mir Worte viel zu wichtig. Ich verwandle einen Gedanken in einen Satz, bis er möglichst verständlich und nicht zu prätentiös ist. Ich gehe gerne aufmerksam mit Worten um. Es werden aber nicht immer Worte gebraucht.

In der Hundeschule zum Beispiel wird den menschlichen Begleiter*innen beigebracht, wenig zu reden. Ich scheitere fast jedes Mal daran, aber mein Hund hat sich bereits an mein Mundwerk gewöhnt. Dabei passiert der Großteil der Kommunikation zwischen Mensch und Tier über Körpersprache und Zeichen. Es hat ein wenig gedauert bis wir das hingekriegt haben, aber dann klappte es.

Außerhalb der Hundeschule können Worte jemanden aufbauen, verwirren, verletzen, ermutigen… alles ist möglich. Meist verwenden wir nur einen sehr kleinen Teil von der Macht der Worte, von ihrer Kraft. Wir benutzen sie oft nur zum Informationsaustausch, ohne uns die Zeit zu nehmen, die andere Person zu verstehen, zu begreifen, vielleicht sogar etwas dazuzulernen. Wie denn auch? Unsere Welt und unser Leben sind so schnell, so dicht, oft anstrengend, sodass es keinen Platz dafür gibt.

Ich bewege mich allerdings täglich in einer Welt, in der man Worte braucht: bei den Proben, vor einem Konzert, nach einem Konzert, man wird kritisiert mit Worten, man übt, man sucht, man liest, man erklärt – aber auf der Bühne gibt es keine Worte. Es gibt Zeichensprache, Körpersprache, aber hauptsächlich geht es um Ausdruck, um das Gespür und um die Musik, die einen direkten Weg zu unserem intuitiven Verstand findet. Deshalb kann die Musik – ohne die Situation im Geringsten zu verändern – jemanden trösten, der sonst keinen Trost findet. Sie kann – ohne eine Lösung anzubieten – für Erleichterung sorgen und somit die Erlösung selbst sein.

Vor einiger Zeit habe ich eine sehr spezielle Erfahrung gemacht.

Im Dezember, nach einem sehr schönen Konzert eines Hornoktetts in der Staatsoper, waren wir essen und ich hatte die Ehre, neben einem japanischen Gast zu sitzen. Dadurch, dass auch mein Kind dabei war, konnte ich mich nicht viel mit ihm unterhalten, allerdings hat er mir am Ende gesagt: „Ich habe Ihre neueste CD mit dem Beethoven Septett. Was sind Ihre nächsten Projekte?“

Mir wurde in dem Moment bewusst, dass ich keinen Plan für die Zukunft hatte, ausser dem, der schon im Kalender stand. Ich hatte aber auch keine Lust, irgendetwas Neues zu schaffen. Ich wollte mich um nichts bemühen, mich um nichts kümmern. Und genauso bewusst wurde mir, wie ungewöhnlich das für mich ist. Ich war noch nie ohne Träume, planlos, lustlos…

Ich habe zu diesem japanischen Gast gesagt: „Es gibt momentan keine Pläne für ein Projekt.“

Seine Antwort war: „Lassen Sie es mich wissen, wenn es so weit ist. Ich bin der Erste, der Ihre nächste Aufnahme kaufen wird.“

Er kann sich gar nicht vorstellen, was mir diese Nettigkeit bedeutet hat! Wie er mich zum Nachdenken, zum Forschen, zum stundenlangen Lesen und Arbeiten bewegt hat. Er hat keine Ahnung, dass er mich ermutigt hat, mich selber zu suchen und wieder zu finden, meine Träume, meine Wünsche, und wenn es keine gab, einfach neue zu finden.

Unsere Welt ist zu schnell und zu voll. Zu glamourös, um jemandem ehrlich sagen zu können: „Ich habe keine Pläne.“ Was würde ich dann auf Facebook oder Instagram posten?! Backen kann ich nicht besonders gut, mein Hund ist nicht perfekt und mein Garten noch weniger! Und dieses Zur-Schau-Stellen nimmt immer mehr Platz in unserem Wertesystem ein, so oberflächlich es klingt: In unserer Zeit bist du das, was du postest. Unglaublich, wie weit wir diesen Nonsens getrieben haben!

Dieser Mensch hat mir mit zwei Sätzen und mit einem offenen, netten Herzen ein wunderschönes Jahr geschenkt, voll mit Neugierde und Arbeit. Nicht, weil es kein Drama geben wird – wer weiß, was nach Covid und dem ukrainischen Krieg kommen mag – sondern weil er mir gezeigt hat, dass das, was ich mache, nicht sinnlos ist, nicht austauschbar, nicht egal, und es wird erwartet und gebraucht. Es gibt nichts wertvolleres als das! Simple, kurze Worte, es waren zwei Sätze.

Lasst uns versuchen, öfter etwas zu sagen, was andere ermutigt. Und das zu schlucken, was andere unnötig runtermachen würde. Lasst uns ein bisschen sanfter und mitfühlender sein und liebevoller und aufmerksamer mit Worten umgehen. Sie haben Kraft, sie besitzen die Macht, etwas oder jemanden aufzubauen oder zu zerstören. Es ist nicht egal, wie wir Worte benutzen, genau so wenig wie jeder von uns egal sein kann. Wir sind nicht zu gleichen Teilen talentiert, hübsch, groß, schlank, klug oder intellektuell. Wir sind aber zu gleichen Teilen wertvoll. Wenn wir diese Erkenntnis in unsere Worte einfließen lassen würden, wer weiß, wie viele Menschen wir mit nur zwei Sätzen wieder auf die Beine stellen würden, ohne Mühe, ohne großen Aufwand, mit der sanften und durchdringenden Kraft ehrlich gemeinter, aufmerksamer Worte.

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