Zwetschken für Müll (Сливи за смет)

Es gibt ein bulgarisches Märchen, in welchem ein Prinz sich entscheidet, eine Frau für sich zu suchen. Dabei bietet er seinem Volk an, jeder Frau so viele Zwetschken zu schenken, wie diese Müll aus ihrem Haus schafft. Die Menschen beginnen, ihre Häuser zu putzen und viele räumen große Mengen Müll aus ihrem Zuhause (wir hätten definitiv gewonnen in der Hinsicht!). Der Prinz tauscht den Müll gegen Zwetschken. Mit dem Nebeneffekt, dass das gesamte Königreich am Ende der Geschichte ziemlich sauber ist, alle mit Zwetschken gut genährt sind – und natürlich findet der Prinz eine Frau. Nämlich die, die kaum Müll zum Tauschen hat, weil ihr Haus einfach stets sauber gehalten wird. Am Ende sind alle glücklich. Warum sollte eine Prinzessin putzen können, würde sich jetzt vielleicht manch eine(r) fragen. Na ja, es geht nicht direkt um das Putzen, sondern darum, sich zu kümmern, und zwar auch dann, wenn keine Gegenleistung dafür erwartet wird. Immer, einfach weil es gut und wichtig ist.

Tauschgeschäfte und Ersatzhandlungen sind im letzten Jahr für meinen Geschmack zu wichtig geworden. Unsere Gesellschaft sucht die Befriedigung, die Lösung, sogar die Erlösung per Knopfdruck, das heißt SOFORT. Nachdem seit März 2020 nichts mehr geht, oder sehr wenig, und wenn, dann ganz anders, haben wir uns Wege gesucht, unsere Gelüste und Wünsche doch noch erfüllen zu können. Statt eine Shopping-Tour mit der Freundin zu genießen (die würde auch einen Kaffee und haufenweise Gespräche beinhalten), klicken wir uns durch den Amazon-Warenkorb oder suchen stundenlang online Webseiten, die wir sonst nie gefunden hätten. Statt in der Schule zu lernen (neben dem Unterricht auch einige Fertigkeiten zu entwickeln, mit Freunden zu reden, mit „Feinden“ zu streiten, andere Menschen in ihrem Umgang zu beobachten und sich zu entscheiden, will ich so sein oder nicht), starren unsere Kinder 8-10 Stunden pro Tag auf einen Bildschirm und haben Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und haufenweise schlechte Laune am Ende des Tages … (erinnert ihr euch noch an die Zeit, als ihr den Kindern die Bildschirmzeit pro Tag oder sogar pro Woche limitiert habt?!). Statt ins Konzert, in die Oper, ins Kino zu gehen, sitzen wir am Schreibtisch vor dem Computer oder am Küchentisch vor dem Ipad und streamen ein Video nach dem anderen, eine Videokonferenz jagt die nächste. Musiker, die sich in einem leeren Saal total fehl am Platz fühlen, die nicht wissen, was sie nach dem letzten Akkord tun können (normalerweise gibt es Applaus, eine Reaktion vom Publikum, jetzt gibt es betretene Leere, höchstens ein kurzes Gespräch mit dem Pultnachbarn) und mit dem unbefriedigenden Gefühl, weder Konzert, noch Probe, noch Videoaufnahme gespielt zu haben, anschließend nach Hause gehen.

Die Ersatzhandlungen, die wir uns angewöhnt haben, dürfen nicht die neue Realität werden, weil sie kein echter Ersatz sind, sondern die Notlösung für eine Zeit, in der in fast jedem Lebensbereich Not herrscht. Diese Notlösungen dürfen daher nicht als DIE Lösungen angesehen werden. Nach ihrer Zeit sollten sie wieder „entsorgt“ werden, ansonsten tauschen wir unsere Zwetschken gegen Müll. Und wenn wir ehrlich sind, suchen wir weder eine Prinzessin, noch sind wir alle Prinzen, noch wollen wir Müll sammeln …

Das Warten lohnt sich, das nicht-Vergessen worauf wir eigentlich warten, auch! Das sich-Kümmern, die richtigen Prioritäten zu setzen, bringt etwas Wichtigeres als die Prinzessin für den Prinzen am Ende des Märchens: es bringt Zufriedenheit und Glück.

Es ist in Ordnung, gewisse Dinge NICHT ersetzen zu können, es ist in Ordnung, sie schmerzhaft zu vermissen, zu erwarten und darauf hinzuarbeiten oder sich zu freuen.

Lasst uns die Vorfreude nicht verlieren, indem wir uns mit Dingen die Sicht verstellen, die uns nicht weiterbringen. Manchmal sind einige Monate des Wartens besser als alle anderen Sachen, die man dazwischen machen könnte! Und die Vorfreude ist ja auch etwas Wertvolles. Vielleicht der beste Nebeneffekt, den das Warten erzeugt.

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